Zu diesem Tag gibt es so viel zu sagen, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Ich hatte mich an dem Tag, einem Donnerstag, krank schreiben lassen, weil es mir schon seit Anfang der Woche nicht gut ging. Es nervte mich extremst mit der Erkältung auf Arbeit zu gehen.
An dem Morgen schrieb ich meinem Papa eine SMS, weil wir mal wieder ins Kino gehen wollten und ich einen Film aussuchen durfte. Und weil ich genau wusste, dass es nach seinem und meinem Geschmack sein würde, schlug ich ihm "Von Lämmern und Löwen" vor. Gegen Mittag kam dann seine Antwort, die nur ein einziges Wort enthielt: "Genial!" Er hatte wohl auch schon davon gehört.
Das sollte die letzte SMS in meinem Leben sein, die ich von ihm erhalten würde, denn drei bis vier Stunden später erlag er auf der Baustelle beim Schaufeln einem Herzinfarkt. Der Notarzt war schnell da und versuchte ihn wiederzubeleben, aber es war schon zu spät. Mein Papa hatte sich still und heimlich aus dieser Welt gestohlen.
Es war kurz nach 18 Uhr, als ich erkältet in meinem Bett einen Anruf von seiner Lebensgefährtin erhielt, die mir sagte, dass mein Papa tot sei. Immer und immer wieder hatte ich mir vorher ausgemalt, was das für ein Moment sein würde, in dem ich sowas erfahre, und wie ich darauf reagieren würde. Zuallererst konnte ich es nicht begreifen. Sie klang verweint und sagte mir, dass sie im Flemming-Krankenhaus wäre und ich schnellstmöglich herkommen solle.
Zuerst rief ich Ma an, konnte sie aber nicht erreichen. Sie hatte damals donnerstags immer ihren Yoga-Kurs.
Also probierte ich es bei Steph. Voller Verzweiflung sagte ich: "Kannst du mich ins Krankenhaus fahren? Ich glaub, meinem Papa ist was passiert!"
Da kullerten schon die ersten Tränen der Erkenntnis, obwohl alles noch immer vollkommen abstrakt war.
Natürlich kam sie, so schnell sie konnte. Sie ließ alles stehen und liegen für mich, obwohl sie gerade über dem Abendessen war. Dafür bin ich ihr noch heute sehr dankbar. Als Nichtangehörige durfte sie dann nicht mit hinein, aber ich..
Und als ich meinen Papa dort liegen sah, konnte ich nicht verstehen, dass ein Herzinfarkt einen so großen und athletischen Mann umwerfen konnte, denn er war ja sehr sportlich. Sein einziges Laster war das Rauchen gewesen, und er hat wohl in den Wochen zuvor auch schon gemerkt, dass es ihm nicht mehr allzu gut geht. Gabi, seine Freundin, meinte, dass er immer wieder ein Stechen in der Brust verspürt habe, aber mein Papa war leider so gestrickt, dass er nie zum Arzt gegangen ist. Der hätte dann aber sicher auch nichts mehr tun können, denn mein Papa hätte niemals ärztliche Ratschläge beherzigt. Er hat gelebt, wie er wollte, ohne dass ihm irgendjemand hineinreden konnte.
Das Einzige, was ein Arzt neben der Herzgefährdung festgestellt hätte, wäre das Prostata-Karzinom gewesen, das Papa in sich trug und sich zu einem Krebs entwickelt hätte. Zum Glück hat er diese Diagnose nie erfahren, denn das hätte ihn völlig aus der Bahn geworfen. Außerdem hätte er sich der Krankheit im Leben nicht gebeugt, sondern sich eher ihrer entzogen. Und meinen Papa auf diese Art gestorben zu wissen hätte alles noch schlimmer gemacht. So hab ich wenigstens den Trost, dass er schnell gestorben ist und von dem Karzinom nie etwas erfahren hat.
Auch, wenn ich es hasse andauernd im Konjunktiv schreiben zu müssen, aber vielleicht hätte jetzt, in diesen Tagen und Wochen, die Krankheit angefangen ihn aufzufressen.
Nein, viel schöner finde ich den Gedanken, dass er jetzt zu meinem Schutzengel geworden ist und über mich wacht, wo immer ich auch bin. Denn seitdem er tot ist, ist mir nichts Schlimmeres mehr passiert. Wann immer ich vielleicht etwas gedankenversunken Straßen überquere, scheint er da zu sein und aufzupassen. Meine Ma glaubt auch daran. Sie hat sogar die Theorie, dass er heimlich meinen Schnürsenkel aufmachen wird, damit ich von einem drohenden Unheil abgelenkt werde. Find ich cool. -g-
Jedenfalls werde ich versuchen den heutigen Tag so gut wie möglich zu überstehen.
Schon seltsam, wie schnell das Jahr einfach so an mir vorbei ziehen konnte. Ohne diesen Menschen hätte die Welt sich eigentlich nicht mehr drehen und die Zeit nicht weiterlaufen dürfen, denn es fehlt einfach ein wichtiges Stück. Und es fehlt ein großes Stück meiner selbst. Der Mann, der haargenauso wie ich war, ist nicht mehr da. Er ist einfach nicht mehr da.
6 Kommentare:
Ich wär auch nochmal aufgestanden, wenn ich mich schon ins Bett begeben hätte *g*
Du weißt, ich würde dich niemals hängen lassen!
Es tut mir wirklich leid, was vorn einem Jahr passiert ist mit deinem Papa. Aber ich finde deine Haltung und deine Einstellung sehr bewundernswert.
Das tur mir wirklich leid für dich und beim lesen kamen mir auch schon Tränen.:(
Weiß gar nicht was ich noch dazu sagen soll. tut mir wirklich leid.
Liebe meyeah, fühl dich ganz fest gedrückt. Ich kann gut nachfühlen, wie es dir geht - bei meinem Papa sind es vergangenen Monat zwei Jahre geworden, dass er sich aus der Welt gestohlen hat und so 100%ig begreifen kann und mag ich das immer noch nicht, ebensowenig wie ich damals begriffen habe, warum die Welt nicht aufhörte, sich zu drehen...
Aber so hart ein plötzlicher Tod für die Angehörigen ist, schön für ihn, dass er so gehen durfte. Meinen Paps hat über 10 Monate der Lungenkrebs aufgefressen - das ist nicht nur für den Kranken selbst entsetzlich, sondern auch zum Dabeisein und Nicht-helfen-können oftmals weit über das Erträgliche hinausgehend.
Das alles außen vor - solche Jahrestage sind schwer zu beschreiben und noch schwerer zu leben. Ich wünsch dir einfach alles Gute.
Mir faellt es grad sehr schwer, irgendwas taktvolles zu schreiben, also belass ich es dabei zu sagen, dass deine Haltung und dein Weg im Leben trotz deiner so starken Bindung zu deinem Papa einfach toll und bewundernswert sind.
Ich weiß auch nicht wirklich, was ich schreiben soll, aber ich denke auch, dass Dein Vater auf Dich aufpasst, denn den Gedanken finde ich einfach schön.
Ich denk an Dich und bin immer für Dich da.
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